Erweitertes Nährwertkennzeichnungs-Modell für Deutschland: Das weitere Verfahren

Ein Verbraucher betrachtet im Supermarkt ein Produkt Quelle: AdobeStock-anyaberkut

Erweitertes Nährwertkennzeichnungs-Modell für Deutschland: Das weitere Verfahren

Nutri-Score, BLL-Modell, Keyhole® oder MRI-Modell? Ein vereinfachtes, erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System vorne auf der Lebensmittelverpackung ist ein zentraler Baustein einer ganzheitlich ausgerichteten Politik für eine gesunde Ernährung – und auch Auftrag aus dem Koalitionsvertrag.

  • Bundesministerin Julia Klöckner hatte daher das Max Rubner-Institut (MRI) beauftragt, ausgewählte relevante Nährwertkennzeichnungs-Systeme zu untersuchen. Die Bewertung wurde im April 2019 vorgelegt. Sie ist eine der Grundlagen für den weiteren Entscheidungsprozess.
  • Parallel hat die Lebensmittelwirtschaft im April 2019 durch den Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) ein eigenes Nährwertkennzeichnungs-Modell entwickelt und vorgestellt. Dieses Modell hat das MRI ebenfalls untersucht. Die Bewertung durch das MRI wurde im Mai 2019 vorgelegt (siehe unten Anhang 1).

    Beide MRI Berichte gelten als vorläufig, da der laut Koalitionsvertrag zu berücksichtigende Bericht der EU-Kommission noch nicht vorliegt.

  • Das BMEL hat zudem das MRI beauftragt, wissenschaftlich unabhängig ein eigenes Kennzeichnungssystem zu erarbeiten, das einen Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen, in der Diskussion vertretenen Positionen darstellen soll. Das MRI hat seinen Entwurf eines solchen Modells einer erweiterten Nährwertkennzeichnung am 21. Mai 2019 veröffentlicht.
  • Auf der Grundlage dieser wissenschaftlichen Vorarbeiten haben sich Bundesministerin Klöckner, Vertreter der Koalitionsfraktionen, der Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft und der Verbraucherzentrale Bundesverband am 26. Juni 2019 geeinigt, dass nachfolgende vier Modelle - BLL-Modell, Keyhole®, MRI-Modell sowie Nutri-Score - in die repräsentative Verbraucherbefragung gehen. Diese wird von Juli bis September von einem unabhängigen Markt- und Sozialforschungsinstitut durchgeführt. Das Ergebnis dieser Verbraucherforschung wird für das BMEL maßgeblich sein.

Mein Ziel ist es, dass jede und jeder in Deutschland die Möglichkeit hat, sich einfach gesund zu ernähren - ohne Ernährungswissenschaften studieren zu müssen. Die Nährwertkennzeichnung muss klar sein und sich an der Lebensrealität orientieren. Das heißt: Auf einen Blick für Verbraucher verständlich.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner

Zum Bedarf einer erweiterten Nährwertkennzeichnung

In Deutschland sind 47 Prozent der Frauen, 62 Prozent der Männer und 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig. Zu viel Zucker, Fette, gesättigte Fettsäuren und zu viel Salz sind nicht die einzigen, aber wichtige Gründe für die Entstehung von ernährungsmitbedingten Krankheiten wie Übergewicht oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Neben der Reduktions- und Innovationsstrategie ist ein vereinfachtes, erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System ein wichtiger Baustein für gesunde Ernährung: Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher einfach erkennen können, wie ein Lebensmittel hinsichtlich der Nährstoffe beschaffen ist, fällt die Orientierung leichter und die gesunde Wahl wird einfacher. Eine verständliche Darstellung auf der Vorderseite der Lebensmittel (Front-of-Pack) kann so die Produktauswahl und damit die Nährstoffzufuhr ernährungsphysiologisch günstig beeinflussen.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner strebt daher eine Kennzeichnung an, die klar ist, sich an der Lebensrealität der Verbraucherinnen und Verbraucher orientiert und auf vielen Lebensmitteln zur Anwendung kommt. Das heißt: Auf einen Blick für Verbraucher verständlich.

Weltweite Nährwertkennzeichnungs-Modelle im Vergleich

Weltweit gibt es verschiedene Nährwertkennzeichnungs-Modelle mit unterschiedlichen Zielrichtungen und Zielgruppen. Während manche die Energie- oder Nährwertgehalte eines Produktes einzeln beschreiben oder bewerten (wie bei der britischen Ampel), geben andere eine zusammenfassende Bewertung des Gesundheitswerts eines gesamten Produkts (wie bei Keyhole®, Nutri-Score und australisch-neuseeländischem Health Star Rating).

Das MRI hat insgesamt zwölf relevante Nährwertkennzeichnungs-Modelle sowie den in Finnland vorgeschriebene Salz-Warnhinweis entlang von 18 Kriterien untersucht. Zudem hat das Max Rubner-Institut ein System entwickelt, das an denselben Kriterien gemessen wurde und einen Brückenschlag zwischen rein wiederholenden Nährwertangaben und in den Ampelfarben bewertenden Modellen darstellt. Die Kriterien fußen dabei auf ernährungsphysiologischen und sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten (z.B. Eignung für Produktgruppen, Verbraucherfreundlichkeit, Wertung von günstigen und ungünstigen Inhaltsstoffen, Orientierung an wissenschaftlich fundierten Referenzmengen).

Der vorläufige MRI-Bericht verdeutlicht die unterschiedlichen Zielsetzungen der bestehenden Modelle sowie des vorgeschlagenen BLL-Modells. Er benennt die damit verbundenen Stärken und Schwächen der untersuchten Nährwertkennzeichnungs-Systeme. Jedes vorhandene Kennzeichnungssystem habe Licht und Schatten, so die Wissenschaftler. Kein Nährwertkennzeichnungs-Modell ist damit uneingeschränkt zu empfehlen oder abzulehnen. Der Bericht schafft eine vergleichbare und wissenschaftlich fundierte Diskussionsgrundlage. Die Ergebnisse werden in den weiteren Prozess zur Entwicklung eines vereinfachten, erweiterten Nährwertkennzeichnungs-Systems für Deutschland einbezogen.

Der weitere Konsultations- und Entscheidungsprozess mit Verbrauchertests

In Deutschland – wie in der gesamten EU – besteht seit Ende 2016 für vorverpackte Lebensmittel eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung. Für die im Koalitionsvertrag vorgesehene erweiterte Nährwertkennzeichnung steht die Entscheidung über das zu wählende System noch aus. Sie wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gemeinsam mit Vertretern der Koalitionsfraktionen, der Verbraucher- wie auch Lebensmittelwirtschaftsseite, Vertretern kleiner und mittlerer Unternehmen sowie weiteren Stakeholdern aus dem Gesundheitsbereich erarbeitet. Diese haben zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesgesundheitsministerium sind eng in die Arbeiten eingebunden.

Das Ziel von Bundesernährungsministerin Klöckner ist, ein System der erweiterten Nährwertkennzeichnung einzuführen, das einerseits den Verbrauchern einfach auf einen Blick Hilfestellung für eine gesunde Wahl gibt und anderseits möglichst breit zur Anwendung kommt.

Abbildung der erweiterten Nährwertkennzeichnungsmodelle, die in die Verbraucherumfrage gehen. Abbildung der erweiterten Nährwertkennzeichnungsmodelle, die in die Verbraucherumfrage gehen., Quelle: BMEL

Daher wird das BMEL die Verbraucher in die Entscheidung einbeziehen: Von Juli bis September 2019 wird ein Meinungsforschungsinstitut die qualitative und quantitative Verbraucherforschung durchführen. Dabei werden die folgenden vier Modelle BLL-Modell, Keyhole®, MRI-Modell sowie Nutri-Score einbezogen.

Zur qualitativen und repräsentativen, quantitativen Verbraucherforschung

Dazu untersucht das Meinungsforschungsinstitut

  • die Wahrnehmung und Wahrnehmbarkeit der verschiedenen Systeme,
  • die Verständlichkeit, also die Frage, ob ist ein bestehendes System auch objektiv verständlich ist, sowie
  • das Verständnis der Verbraucherinnen und Verbraucher und damit die Frage, ob die Verbraucher das vorliegende Modell zutreffend interpretieren.

Die qualitative Befragung wird als Gruppendiskussionen mit zehn Fokusgruppen im Juli und August 2019 erfolgen. Diese zehn Gruppen werden nach festgelegten Kriterien zusammengestellt, wie z.B. Durchmischung von Alter, Geschlecht, Regionen, Stadt und Land, Gruppen mit höherem und geringerem Bildungs- und Einkommensstatus. Auch ernährungsbedingte Erkrankungen fließen in die Auswahl ein. So sollen die Anforderungen an ein künftiges System und damit die Fragestellung für die folgende quantitative Befragung herauskristallisiert werden.

Aufbauend auf den Ergebnissen der Gruppendiskussionen wird im August und Anfang September 2019 dann eine quantitative Befragung stattfinden, die für die Bevölkerung in Deutschland repräsentative Ergebnisse erbringen wird. Dazu werden die Teilnehmer auf Basis des ADM Mastersamples ausgewählt und Online- sowie Face-to-face-Interviews mit mindestens 1000 Befragten durchgeführt.

Die Ergebnisse der Verbraucherbefragungen sollen im September 2019 vorliegen und werden maßgeblich für die weitere Entscheidung sein.

Folgendes muss berücksichtigt werden:

  • Die EU-Kommission hat ebenfalls einen Bericht zur Evaluierung der bestehenden freiwilligen Nährwertkennzeichnungs-Systeme angekündigt. Dieser liegt noch nicht vor, der Termin der Veröffentlichung wurde mehrfach verschoben. Daher muss der Bericht des MRI überprüft und eventuell aktualisiert werden, wenn der EU-Bericht veröffentlicht wurde. Perspektivisch wäre ein EU-einheitliches erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System sinnvoll.
  • Die EU-Rechtsetzung lässt nur die Möglichkeit zu, dass die EU-Mitgliedstaaten ein erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System als Empfehlung und damit nicht verpflichtende Lösung einführen.
  • Bei der Einführung für ein vereinfachtes erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System bedarf es deshalb der Unterstützung und Akzeptanz der Unternehmen der Ernährungswirtschaft und des Handels. Damit es vielen Verbrauchern eine Orientierung zur gesunden Ernährung geben kann, sind möglichst viele gekennzeichnete Lebensmittel in möglichst vielen Lebensmittelmärkten notwendig.
  • Zudem ist eine Verbraucherforschung EU-rechtlich die Grundvoraussetzung, um die erweiterte Nährwertkennzeichnung in einem Mitgliedsland zu empfehlen, was eine entsprechende Notifizierung bei der EU erfordert.
  • Sobald eine Einigung über ein Kennzeichnungssystem besteht, wird dieses Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannt gemacht und erklärt.

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