Lebensmittelzeitung - Es fehlen 1500 Kontrolleure!

Foto: Adobe Stock

Deutschlands oberster Lebensmittelkontrolleur Maik Maschke erklärt, was er von den Empfehlungen des Bürgerrats hält.
Er fordert mehr Ressourcen für die Überwachung und gibt Einblick in die Themen, die die Aufsichtsämter umtreiben.

Maik Maschke ist seit 2022 Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands (BVLK). Der 42-Jährige arbeitet und wohnt im Erzgebirgskreis des Freistaats Sachsen. Er ist bereits sein halbes Leben lang in der amtlichen Lebensmittelüberwachung tätig – als Lebensmittelkontrolleur und Qualitätsmanagementbeauftragter.

Herr Maschke, herzlichen Glückwunsch: Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ empfiehlt eine „passende Honorierung“ Ihres Berufsstandes.

Ja, das begrüßen wir natürlich. Ich hatte die Chance, den 160 ausgelosten Bürgern in insgesamt neun Stunden als Faktenchecker Rede und Antwort zu stehen. Dabei konnte ich vermitteln, dass sich unsere Arbeit in den vergangenen Jahren völlig gewandelt hat und immer komplexer geworden ist.

Die Überwachung findet naturgemäß hinter den Kulissen statt. Nennen Sie doch gerne mal ein paar Beispiele.

Da geht es nicht nur um die Erstellung einer Risikobeurteilung je Betrieb. Wir müssen auch die Wirksamkeit der von den Unternehmen eingerichteten Eigenkontrollsysteme überprüfen – für Lebensmittel, Kosmetik, Tabakerzeugnisse & Co. Außerdem ermitteln wir im Rahmen der EU-Schnellwarnsysteme und haben die Themen Lebensmittelkriminalität und Internethandel im Blick. Zu allem Überfluss enthält das EU-Hygienerecht sehr viele unbestimmte Rechtsbegriffe.Das müssen Sie erklären.Es reicht oftmals nicht mehr aus, dass wir einen Blick ins Gesetz werfen, um zu bestimmen, ob sich das Unternehmen an geltendes Recht hält. Vielfach müssen wir Fachliteratur und Rechtsprechung wälzen: Während die Hygiene-Verordnung früher zum Beispiel konkret festlegte, dass „die Wände 1,60 Meter hoch zu fliesen“ sind, ist dort heute nur noch von einer „ausreichenden Höhe“ die Rede. Ebenso auslegungsbedürftig sind vage Termini wie „fließend warmes Wasser“.

Von Hanf bis Veggie: Welche Rolle spielen Trend-Sortimente bei Ihrer Arbeit?

Die Bezeichnung vegetarischer und veganer Fleischersatzprodukte beschäftigt uns sehr; da gibt es immer wieder Verstöße. Daher verfolgen wir die Bemühungen der Deutschen Lebensmittelbuchkommission um den zu reformierenden Leitsatz aufmerksam. Und in Sachen Hanf droht uns womöglich Mehrarbeit: Bislang sind wir nur für die Überwachung von CBD-Produkten, also solche mit Cannabinoiden, zuständig. Mit der von der Bundesregierung geplanten Legalisierung könnte die Cannabis-Kontrolle hinzukommen. Polizei und Strafverfolgungsbehörden haben bereits signalisiert, dass sie das wohl nicht leisten können. Und da Cannabis mit der menschlichen Schleimhaut in Kontakt kommt, fällt das Thema theoretisch in unseren Beritt.

Der Bürgerrat empfiehlt auch „mehr Kontrolleure“. Hatte die ehemalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner im Jahr 2020 nicht erst die Häufigkeit der Kontrollen verändert und somit für Abhilfe gesorgt?

Im Gegenteil: Seit der Anpassung der entsprechenden Verwaltungsvorschrift („AVV-Rüb“) gibt es – wie seinerzeit von uns befürchtet – 40 Prozent weniger Sollkontrollen als vorher: Unsere Leute sind schlicht weniger in den Betrieben. Klöckner hat die Aufgaben ans vorhandene Personal angepasst, nicht umgekehrt. Konkret wollte sie die Kontrollen stärker auf auffällige Betriebe ausrichten, sodass Routinekontrollen im Gegenzug seltener stattfinden. Jeder Betrieb ist seither im Kontrollrhythmus automatisch eine Stufe nach oben gerutscht: So wird ein Supermarkt, der vorher halbjährlich kontrolliert wurde, nun noch jährlich kontrolliert; ein Hersteller, der bis dato monatlich gecheckt worden war, nun nur noch vierteljährlich und so weiter. Das ist ein Abbau des präventiven Verbraucherschutzes! Tatsächlich aber fehlen uns bundesweit 1 500 Kontrolleure. Das haben wir gegenüber Klöckner betont – und diese Forderung besteht noch heute.

Begrüßen Sie denn alle Forderungen, die der Bürgerrat aufgestellt hat?

Nein! Zwar ist es richtig, dass die 23 Jahre alte Berufsordnung der gestiegenen Aufgabenfülle angepasst werden muss. Jedoch wollen die Bürger – um mehr Personal zu gewinnen – auch die Zugangsvoraussetzungen zur zweijährigen Fortbildung zum Lebensmittelkontrolleur vereinfacht sehen: Sie empfehlen, dass künftig nicht nur Personen mit Meisterprüfung Zugang erhalten, sondern zum Beispiel auch Bedienstete im Polizeivollzugsdienst und im mittleren Dienst der allgemeinen Verwaltung. Das aber lehnen wir ab: Diese Berufsgruppen bringen nicht mehr die geeigneten Voraussetzungen mit, um den Qualitätsmanagern oder Juristen in den Unternehmen auf Augenhöhe zu begegnen. Denn bedenken Sie: Für einen Meisterbrief – etwa im Bäcker- oder Metzgerhandwerk – muss man allein schon eine dreijährige Ausbildungszeit mit Abschlussprüfung vorweisen, mindestens ein Jahr Berufserfahrung sowie die einjährige Ausbildung zum Meister mit Abschlussprüfung.

Lange war es still um das Thema „Transparenz amtlicher Hygiene-Befunde“ geworden, auch bekannt unter dem Schlagwort „Internet-Pranger“. Nun fordern Sie Minister Cem Özdemir auf, eine Rechtsgrundlage zur Veröffentlichung der Kontrollergebnisse zu schaffen. Wie kommt das?

Wir sind gegen einen Flickenteppich von schlimmstenfalls 16 unterschiedlichen Transparenzsystemen in Deutschland und pochen daher auf eine bundes- oder gar EU-weit einheitliche Lösung für alle Betriebsarten zum gleichen Start: Die teils erfolgten Alleingänge einzelner Bundesländer sind nicht akzeptabel. Warum erfahren die Berliner Bürger über amtlich festgestellte lebensmittelrechtliche Verstöße eines Supermarkts, Gastronomiebetriebs oder Herstellers – die Brandenburger Verbraucher hingegen nicht? Zudem unterscheiden sich die Kontrollsysteme untereinander: Die sächsischen Behörden veröffentlichen bei gravierenden Verstößen mittlerweile bis hin zum kleinsten Detail – sie nennen etwa, dass im Kühlschrank stark gesäuerte, mit Obstfliegen behaftete Teiglinge vorgefunden wurden.Und wie ist das anderswo?Berlin-Pankow publiziert seine Veröffentlichungen sogar mit Fotos von den jeweiligen Hygienemängeln. Demgegenüber ist Bayern zurückhaltender: Dort wird nur lapidar über „Mängel in der Schädlingsbekämpfung“ informiert. Wir fordern daher, dass die Transparenzvorschrift – Paragraf 40 Absatz 1a LFGB – wieder auf die Tagesordnung kommt – wohlwissend, dass das Bundesernährungsministerium das Thema Lebensmittelüberwachung nicht im Fokus hat. Özdemir geht es vor allem um die im Koalitionsvertrag genannten Punkte, insbesondere um das Thema Tierwohl.

100 bis 500 Euro Strafe müssen Betriebe für eine „ekelerregende, nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln“ in Baden-Württemberg zahlen, 50 bis 1500 Euro in der Stadt Essen. Führt das nicht zu einer krassen Ungleichbehandlung?

Absolut. Deshalb braucht es einen bundeseinheitlichen Bußgeldrahmenkatalog für lebensmittelrechtliche Verstöße – wie im Koalitionsvertrag der vorigen schwarz-roten Bundesregierung festgehalten und jüngst von der Philipps-Universität Marburg in einem Gutachten gefordert. Der Freistaat Sachsen, in dem ich ansässig bin, war mit seinem Bußgeldkatalog einer der Vorreiter. Wir hatten bereits 2008 einen solchen erarbeitet und aktualisieren ihn seither regelmäßig. Er enthält fixe Summen für bestimmte Tatbestände, wie im Verkehrsrecht. In meiner Funktion als BVLK-Bundesvorsitzender gebe ich den Katalog derzeit an Kollegen zur Unterstützung weiter und habe dafür die Erlaubnis des sächsischen Ministeriums. Ein einheitlicher Bußgeldkatalog ermöglicht ein einheitliches Verwaltungshandeln und gibt auch den Amtsrichtern und Unternehmen eine wichtige Orientierung.

Die Verbraucherschützer fordern, die Überwachung aus der Verantwortung der Kommunen herauszulösen und auf zentrale Behörden auf Landesebene mit regionalen Außenstellen zu übertragen. Der kommunale Ansatz sei angesichts überregional arbeitender Betriebe nicht mehr zeitgemäß – und ermögliche Abhängigkeiten und Interessenkonflikte, wie der Gammelfleisch-Skandal 2019 im nordhessischen Betrieb „Wilke“ gezeigt habe. Wie sehen Sie das?

Wir als Bundesverband fordern weder, dass die Überwachung zwingend bei den Landkreisen verbleibt noch dass sie zu einer Art „Food FBI“ hochgestuft wird. Beides hat Vor- und Nachteile. Für uns ist allein wichtig, dass die personellen und finanziellen Ressourcen stimmen. Ich persönlich bevorzuge es, die örtliche Nähe zu den Betrieben zu haben: Das verkürzt die Anfahrtszeit.

Diesen Sommer sollen das überarbeitete Webportal „Lebensmittelwarnung.de“ sowie die entsprechende App live gehen.

Das ist längst überfällig. Die Internetseite ist mittlerweile schon richtig gut, aber heutzutage rufen die Verbraucher Informationen ohnehin nur noch mit ihren mobilen Endgeräten auf. Für die App würden wir uns noch regionale Pushmeldungen im Fall von Vorfällen mit Gesundheitsgefahr wünschen, ähnlich den Systemen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. So könnte die Warnmeldung etwa zu einem salmonellenverseuchten Produkt eines regionalen Fleischers gezielt regional ausgespielt werden.

Nahrungsergänzungsmittel mit zu viel Koffein aus dem Netz oder CBD-haltige Produkte, die als Lebensmittel angeboten wurden: Es gibt zahlreiche Beispiele für gesundheitsgefährdende Produkte und Fälschungen online, insbesondere aus Asien. Misst die Überwachung hier mit zweierlei Maß, weil sie fast nur stationär kontrolliert, online hingegen selten bis gar nicht?

Um die Lebensmittelsicherheit auch im E-Commerce sicherzustellen, gibt es seit 2013 das beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angesiedelte „G@zielt-Team“ – eine Zentralstelle der Bundesländer, die gute Arbeit leistet. Problematisch ist aber, dass viele Onlinehändler kein eigenes Lager haben, sondern die Lieferung nur vermitteln – und dass die Unternehmen mit nicht rechtskonformen Produkten ihren Sitz oftmals im Ausland haben. Das macht die rechtliche Verfolgung sehr aufwändig: Eine Ortsbegehung im Ausland kommt nicht in Betracht. Ein weiteres Problem ist, dass die Behörden bis heute keine Kreditkarten nutzen können, um anonym Proben in Onlineshops zu bestellen.

Können Sie denn beim Vorgehen gegen schwarze Schafe auf die Unterstützung der großen Online-Plattformen zählen?

Wir begrüßen es, dass Amazon, Ebay & Co mittlerweile helfen: Sie stellen uns eine spezielle E-Mail-Adresse und Formulare zur Verfügung, in denen wir ankreuzen können, um welchen Inverkehrbringer, welches Produkt und welchen Verstoß es sich handelt – und ob wir die Sperrung der entsprechenden Ware verlangen oder die Schließung einer Händlerseite.

Im vergangenen Jahr gab es auf „Lebensmittelwarnung.de“ 308 Rückrufe: Lebensmittel mit mikrobiologischen Kontaminationen, Grenzwertüberschreitungen, unzulässige Inhaltsstoffe et cetera. Ist da nicht eine noch strengere Kontrolle vonnöten?

Das klingt viel, aber: Das bedeutet noch nicht mal eine Warnmeldung täglich. Ich muss sagen: Die Eigenkontrollsysteme der Wirtschaft, überwacht durch uns – das funktioniert. Wir sorgen gemeinsam für sichere Lebensmittel. Denn, das darf man nicht vergessen: Die Verantwortung für gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel liegt in erster Linie bei den Unternehmen. Wir kontrollieren, ob sie die geeigneten Maßnahmen getroffen haben. lz 07-24

IM DIENST DER VERBRAUCHER

Mäusekot in Backwaren, Pflanzenschutzmittel auf Obst und Gemüse, Schmutzkeime im Speiseeis, Salmonellen im Hackfleisch, Butterstreuselkuchen ohne Butter, Glassplitter im Müsli et cetera. Die 2 500 Lebensmittelkontrolleure deutschlandweit haben die Aufgabe, Verbraucher vor Gesundheitsgefahren durch Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände sowie vor Irreführung und Täuschung zu schützen. Sie arbeiten in 400 Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärämtern der Bezirksämter, kreisfreien Städten und Landkreisen und überwachen 1,2 Millionen registrierte Unternehmen, im Verbund mit Tierärzten und Lebensmittelchemikern. Die Kontrolle umfasst alles von Produktionshygiene über Temperatureinhaltung, Rückverfolgbarkeitssysteme bis hin zu Schädlingsmanagement und Kennzeichnungsfragen.

Zurück